Eher ein Grund zum Heulen


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Es ist unglaublich, einfach unglaublich! Vor 50 Jahren, am 7. Februar 1971, gestanden die gestandenen Schweizer Männer ihren Frauen das Stimm- und Wahlrecht auf eidgenössischer Ebene zu – endlich. Denn dies geschah ziemlich genau ein halbes Jahrhundert, nachdem Länder wie Estland, Armenien und Kirgistan das Frauenstimmrecht eingeführt hatten. Wahrliche kein Ruhmesblatt für Mutter Helvetia. Dass wir Frauen erst vor 50 Jahren in der Demokratie mitbestimmen durften, beschäftigt mich. Daher habe ich recherchiert und herausgefunden, dieser «Tolgen» auf Helvetias Mieder ist noch beschämender und erbärmlicher, als es auf den ersten Blick scheint. So mussten in keinem anderen Land die Mehrheit der Männer von den Frauen überzeugt werden, ihre Privilegien abzugeben. Denn in allen unseren Nachbarländern haben Regierungen selbst die Initiative ergriffen. Notabene brauchte es zwei Anläufe und beide Abstimmungen 1959 als auch 1971 kamen nur auf Druck von unten zustande, der Bundesrat – ein rückständiges und selbstgerechtes Männergremium – engagierte sich keineswegs für diese längst fälligen Rechte der weiblichen Bevölkerung. Der Konsens war klar: «Frauen haben in der Politik nichts verloren, punkt.» Damals wurde die Politik in der Beiz am Stammtisch gemacht und dort waren Frauen nur als Servicepersonal geduldet. Nimmt Frau die helvetische Geschichte etwas genauer unter die Lupe, so zeigt sich schwarz auf weiss: Die Schweizer Geschichte steckt voller mythischer Männerbünde. Die Eidgenossen habe die Geschichte unseres Landes in grosser Selbstgenügsamkeit und Selbstüberschätzung so umgedeutet, dass sie auf ihre Rolle als Oberhaupt und «Alleinherrscher» zugeschnitten ist. Die Selbstherrlichkeit der Schweizer Männer bestimmte lange unser Land. Mit diesem Hintergrund ist der runde Geburtstag des Frauenstimmrechtes eher ein Grund zum Heulen, denn zum Feiern.

    Dieses ziemlich beschämende Kapitel der Schweizer Gesichte passt schlicht und einfach nicht in das Bild eines demokratischen Vorzeigestaates. Das fehlende Frauenstimmecht wurde für die Schweiz allmählich zum Imageproblem. Denn Hand aufs Herz: Mit Staaten wie Saudi-Arabien verglichen zu werden, schmerzt in der Vorzeigedemokratie dann eben doch. Dies haben dann 1971 immerhin auch einige Herren der Schöpfung realisiert. Nach diesem mühevoll erkämpften «Frauensieg» – an dieser Stelle nachträglich ein ganz grosses Dankeschön an die damaligen mutigen Protagonistinnen – ging es dann langsam vorwärts mit der Frauenbewegung in der Politik. 1981 wurde die erste Initiative zum Gesetzesartikel «Gleiche Rechte für Frau und Mann» nur von Frauen lanciert. Ebenso ist nur dank dem politischen Mitspracherecht der Frauen 1985 die Gesetzesänderung bezüglich des neuen Eherechtes angenommen worden. Knapp 50 Prozent der Schweizer Männer haben damals das Gesetzt verworfen. Wäre es allein nach den Männern gegangen, wären sie noch heute das Oberhaupt der Familie.

    Es dauerte dann allerdings noch 13 Jahre bis mit Elisabeth Kopp am 2. Oktober 1984 die erste Bunderätin gewählt wurde. Und noch länger dauerte es bis das Parlament endlich weiblicher wurde. Heute ist ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis immerhin in greifbarer Nähe, so wurde am 2. Dezember 2019 im Nationalrat 84 Frauen und 116 Männer vereidigt und drei Frauen sitzen in der Bundesregierung – nicht schlecht für den Anfang! Trotzdem – es müssen noch mehr Schlüsselpositionen in Politik und Wirtschaft mit Frauen besetzt werden. Fairerweise muss ich allerdings sagen, ist die weibliche Vakanz in der Teppichetage ein Umstand, den die Frauen oftmals selbst zu verantworten haben. Denn Gleichberechtigung und weibliche Selbstbestimmung haben wir Frauen selbst in der Hand. Frauen dürfen das Interesse an Politik nicht den Männern überlassen. Doch es gibt bezüglich Gleichstellung von Mann und Frau noch viel zu tun – so haben wir immer noch keine Lohngleichheit in der Schweiz. Hoffen lässt die neue Generation Männer, die in der Regel anders tickt als ihre Vorfahren. Junge Männer legen grossen Wert auf Gleichberechtigung. Wir alle – egal ob Frau oder Mann – müssen am selben Strick ziehen, und Sorge zur Gleichberechtigung tragen, aber auch schauen, dass sie weiter vorangetrieben wird – nur so können wir diese Welt zum Wohle aller ein Stückchen besser machen.

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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